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Beitrag vom 08.07.2018
The same procedure as every year: Die Bundesregierung wird wegen der Steuer- und Abgabenbelastung von Frauen kritisiert
AVIVA-Redaktion
In Brüssel haben die für Beschäftigung zuständigen Minister*innen der 28 Mitgliedstaaten am 21. Juni 2018 die länderspezifischen Empfehlungen zu den nationalen Reformprogrammen (NRP) beschlossen. Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hatte das Nationale Reformprogramm Deutschlands bereits im Mai ...
...im Hinblick auf Änderungen bei der Steuer- und Abgabenbelastung von Frauen als »enttäuschend" kritisiert.[1]
Diese Einschätzung bestätigt der EU-Beschäftigungsrat nun mit deutlichen Worten, die es sich lohnt im Original wiederzugeben.
»Der Anteil der Teilzeitkräfte ist insbesondere bei Frauen sowie bei Menschen mit Migrationshintergrund und Betreuungspflichten einer der höchsten in der Union. Bei Frauen liegt dies vor allem an den Fehlanreizen, die einer Aufstockung der Arbeitszeit entgegenwirken, gepaart mit fehlenden Kinderbetreuungsangeboten und Ganztagsschulen. Besondere Steuerregelungen, insbesondere für Zweitverdiener und Geringverdienende, sowie die Lock-in-Effekte der Minijob-Verdienstgrenze von 450 EUR haben weitere Fehlanreize gegen eine Aufstockung der Arbeitszeit geschaffen. Deutschland weist eine der höchsten Steuer- und Abgabenbelastungen für Geringverdienende auf, die meist Frauen sind. Zum hohen Frauenanteil an der Teilzeitbeschäftigung gesellt sich eines der unionsweit höchsten geschlechtsspezifischen Lohngefälle bei der Teilzeitbeschäftigung (37,5 % gegenüber 23,1 % im Unionsdurchschnitt).
Dies trägt zu einem sehr großen Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Deutschland bei. [...] Durch die künftig abnehmende Angemessenheit der gesetzlichen Rente dürfte das Risiko einer Altersarmut insbesondere für Geringverdienende, Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und Personen mit Erwerbsunterbrechungen zunehmen. Das Rentengefälle zwischen Frauen und Männern ist eines der höchsten in der Union.« [2]
Die Empfehlungen weisen zum wiederholten Male auf den dringenden Reformbedarf bei steuer- und sozialrechtlichen Regelungen hin, die Anreize für geringfügige Beschäftigungsformen setzen und damit maßgeblich zum Gender Pay Gap, vor allem aber zum Gender Pension Gap beitragen.[3] Darüber hinaus müssen die anstehenden Reformvorschläge der Rentenkommission das eklatante Rentengefälle im Blick behalten, das nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung über alle Säulen hinweg bei 53 % liegt.[4]
»Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Reformen im Bereich der Ganztagsbetreuung sind gut, aber angesichts der Probleme ein Tropfen auf einen inzwischen rot glühenden Stein«, kritisiert Prof. Dr. Maria Wersig,
Präsidentin des djb. »Eine bloße Information über das Faktorverfahren im
Steuerbescheid genügt nicht, um die Steuer- und Abgabenbelastung für
Zweitverdienende zu senken. Eine wirklich effektive - und politisch machbare -Maßnahme ist die Streichung der Lohnsteuerklasse V, die das Faktorverfahren faktisch zum Regelfall machen würde. Zudem muss die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung reformiert werden.«
Auch die geplante Anhebung der Midijob-Grenze auf 1.300 Euro ist der falsche Weg. Im zweiten Gleichstellungsbericht wird darauf hingewiesen, dass weder Minijobs noch Midijobs ein existenzsicherndes Einkommen gewährleisten und kaum als Brücke in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung taugen. Um das Rentengefälle abzubauen, müssen Anreize für eine existenzsichernde sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gesetzt werden: Dazu gehört auch die Abschaffung geringfügiger Beschäftigung. Entlastungen in unteren Einkommensbereichen könnten über Steuergutschriften gewährleistet werden, wie es sie in Österreich gibt. Diese Steuergutschriften nützen - anders als die in Deutschland üblichen Steuervergünstigungen - auch Menschen mit wenig Einkommen.
[1] Pressemitteilung: djb kritisiert unzureichende Änderungen bei der Steuer- und Abgabenbelastung von Frauen im Nationalen Reformprogramm 2018, pm18-15 vom 25.04.2018, www.djb.de
[2] Erwägungsgrund 13 der EMPFEHLUNG DES RATES zum nationalen Reformprogramm
Deutschlands 2018 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm
Deutschlands 2018 vom 21. Juni 2018, Empfehlung zur Empfehlung (23.5.2018,)
ec.europa.eu
(Zugriff: 6.7.2018)
[3] Ebd. Ziff. 2
[4] Wagner et al., Alterseinkommen von Frauen und Männern, Neue Auswertungen aus dem WSI GenderDatenPortal, WSI Report Nr. 38, Dezember 2017
Quelle: djb-Pressemitteilung
Berlin, 6.7.2018
www.djb.de